Josef Lang

1996 bis 1999 fand im Kanton Zug eine teils heftige Auseinandersetzung um die «Universale Kirche»statt. Die Alternative Linke stand an der Spitze des Kampfes gegen die antisemitische Sekte.

 

Am 17. September 1996 fand in einem übervollen Bärensaal eine der bewegendsten Veranstaltungen in der bewegten Geschichte der Alternativen Zuger Linken statt. Der Haupttitel des Anlasses lautete «Antisemitismus in der Zentralschweiz». Der Luzerner Historiker Hans Stutz sprach über «Unerwünschte Erinnerungen an Fröntler und andere Antisemiten». Der Schreibende referierte über den «antisemitischen Weg ins katholische Ghetto».

 

Judenhass aus dem Jenseits

Was aber am stärksten mobilisierte, war der Vortrag des WoZ-Journalisten Jürg Frischknecht über «Universale Kirche – Judenhass aus dem Jenseits». Im Sommer 1995 war bekannt geworden, dass die «Universale Kirche» (UK) für ihre Mitglieder verbindliche «Durchsagen aus dem Jenseits» verbreitete wie: «Wegen ihrer satanischen Gier zettelten die Juden den Zweiten Weltkrieg an, genauso, wie sie für den Beginn des Kommunismus verantwortlich waren». Der Sektengründer bezeichnete die «Juden als Krebs am Körper der Menschheit». Und forderte die Mitglieder auf, «die Protokolle der Weisen von Zion zu veröffentlichen», weil sie «echt und wahr» seien.

Da die UK ihren rechtlichen Sitz im appenzellischen Walzenhausen hatte, eröffnete die Ausserrhoder Staatsanwaltschaft ein Verfahren, das am 11. Juli 1996 zu einer Verurteilung des UK-Geschäftsführers zu vier Monaten Gefängnis führte. Die Untersuchung und der Prozess zeigten, dass es sich bei der UK um eine der grässlichsten antisemitischen Organisationen seit dem Zweiten Weltkrieg handelte. Vor dem Gerichtsgebäude in Trogen hatten während des Prozesses 200 UK-Mitglieder, darunter auffällig viele Zuger:innen, in Mönchskutten demonstriert.

 

Wirtschaftsanwalt und Kanti-Rektor

Zwischenzeitlich hatte im Februar 1996 Jürg Frischknecht enthüllt, dass ein Zuger Wirtschaftsanwalt aus einer mächtigen Kanzlei, die seit Jahrzehnten mit Marc Rich verbunden war, Direktionsmitglied der besonders üblen Unterorganisation «Die Neue Franziskanisch-Wissenschaftliche Weltbestrebung der Universalen Kirche» war. Wir forderten gegen den Rechtsanwalt ein Aufsichtsverfahren durch das Obergericht. Am 12. September 1996, fünf Tage vor unserer Veranstaltung, wurde öffentlich bekannt, dass auch der Rektor des Untergymnasiums der Kanti Zug der Universalen Kirche angehörte.

Die Sozialistisch-Grüne Alternative (SGA) forderte den Austritt des Rektors aus der Universalen Kirche, andernfalls dessen Absetzung als Rektor. «Die Mitgliedschaft in einer antisemitischen Sekte ist mit dem Amt eines Schulleiters nicht vereinbar.» Aber wir forderten nicht die Entlassung als Lehrer, weil es sich bei diesem um einen «Brotberuf»handle. Weiter verlangten wir Aufklärung über «rechtsextreme Sekten an der Kanti» und die Beendigung der Berufsverbotspolitik gegen alternative Linke. Es ging schon länger das Gerücht herum, die Kanti sei ein „VPM-Nest»geworden, nachdem der «Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis» an den Zürcher Schulen nicht mehr erwünscht war.

Am 14. September 1996 wurde öffentlich bekannt, dass der Kanti-Rektor selbst am Aufmarsch in Trogen teilgenommen hatte. Trotz all dieser Informationen und obwohl die Kantonsschul-Lehrerinnen und -Lehrer zusätzlich wussten, dass der Rektor ein führendes UK-Mitglied in die obligatorische Weiterbildung einbezogen hatte, passierte etwas Unglaubliches: Die Hälfte des Lehrkörpers stellte sich in einem Schreiben an den Regierungsrat hinter den Rektor und wehrte sich gegen dessen Absetzung. Die Erklärung ging in keinem Wort auf die Frage des Antisemitismus ein.

 

VPM statt Alternative

Am Dienstag, den 17. September, konterte einer deren Vertreter im Bärensaal auf diese Kritik: «Wir haben alle Dreck am Stecken. Ihr setzt zu hohe moralische Ansprüche.» Kurz darauf schickten dessen Erstklässler, die erst seit ein paar Wochen an der Schule waren, einen im Unterricht verfassten Leserbrief zugunsten des Rektors an die Medien. Ein anderer Mitautor der Erklärung schrieb uns in einem Brief: «Zukünftig wird der Justizdirektor (Hanspeter Uster) verfügen, dass bei jedem Spaghetti-Kauf ein philosemitisches Bekenntnis abgelegt werden muss.» Der Satz hing zusätzlich an der Kanti an einem Anschlagsbrett! An der SGA-Veranstaltung, an der viele Lehrer:innen teilnahmen, gab es aus der Kanti eine einzige Stimme, die den Rücktritt des Rektors verlangte. Es war eine Schülerin.

In der ganzen Zuger Affäre um die Universale Kirche, die von 1996 bis 1999 zu Hunderten von Zeitungsartikeln und Zuschriften führte, war das Mitlaufen so vieler Kantilehrer:innen das Bedenklichste. Da sich das Gros des Kanti-Lehrkörpers kaum unterschied von dem anderer Mittelschulen anderer Kantone, stellte sich die Frage: Was war anders in Zug? Das Besondere lag in zwei Tatsachen, die miteinander zusammenhängen: Das Pro-Rektor-Lager verfügte mit den VPM-Mitgliedern über aktivistische und gut vernetzte Leute. Und: Als Folge des Berufsverbots gegen die Alternative Linke fehlten jene Leute, die sofort eine Gegenkampagne aufgebaut hätten. Die Tatsache, dass etliche Lehrer:innen später ihre Unterschrift bereuten, zeigt, wie wichtig die Präsenz von entschlossenen Andersdenkenden, die sich nicht durch Stimmungsmache beeindrucken lassen, gewesen wäre.

Wie wichtig dem VPM der Verbleib des UK-Mitglieds im Rektorat war, enthüllte dessen Organ «Zeit-Fragen» im Oktober 1996. Diese zielte unter dem Titel «Trotzkistisches Spiel mit dem Feuer» gegen Jürg Frischknecht, Hanspeter Uster und den Schreibenden. «Sollte es tatsächlich gelingen, diesen Rektor abzuschiessen, würde der Weg zur Umgestaltung in ein politisches Reformgymnasium frei.» (31/1996). Ehemalige VPM-Mitglieder, auch solche, die nach ihrem Austritt an der Kanti geblieben waren, erklärten uns, die rechtslastige Psycho-Sekte befürchte «ihre wichtigste Protektion» zu verlieren.

 

Alternative Veranstaltung an der Kanti

Die wenigsten Lehrer:innen, die den Rektor verteidigten, taten das aus antisemitischen Gründen. Das erleichterte den unter dem Druck einer irritierten Öffentlichkeit in Gang gebrachten Lernprozess. So kam es, dass die SGA am 16. April 1997 ihre dritte Veranstaltung zum Thema Antisemitismus an der Kanti durchführte. Wir taten das im Rahmen der kurz zuvor eröffneten Wanderausstellung «Anne Frank und wir».

Am 25. September 1996, eine Woche nach unserer ersten Veranstaltung, teilten besorgte Bürgerinnen und Bürger aus Neuheim uns Alternativen mit, dass der Vizepräsident des Gemeinderates ebenfalls der antisemitischen Sekte angehörte. Nach einem Telefongespräch mit dem Betreffenden machten wir dessen Mitgliedschaft publik und forderten seinen Rücktritt. Diese Forderung wurde von seiner Gruppe, den Freien Wählern, konsequent unterstützt. Sie meisterte ihr Problem mit einer kommunalen Aufklärungskampagne über die Universale Kirche und deren Judenhass vorbildlich. Im Rahmen dieser Debatte kam aus, dass der Kanti-Rektor den UK-Mitgläubigen als Biobauern vor Schulklassen eingeladen hatte. Da auch die beiden anderen Neuheimer Ortsparteien, CVP und FDP, den Rücktritt des Antisemiten verlangten, nahm dieser am 4. Oktober 1996 den Hut.

 

Starke Regierung – schwaches Obergericht

Die Regierung verfolgte gegenüber dem Rektor unter deren beiden Vordenkern, dem Erziehungsdirektor Walter Suter (CVP) und dem Justizdirektor Hanspeter Uster (SGA), eine klare Linie: Austritt aus der Sekte oder Absetzung als Rektor, Verbleib als Lehrer, sofern er sich vom Antisemitismus der Universalen Kirche konkret distanziert. Dem kam er nach längerem Zögern Ende Januar 1997 nach.

So gab die Regierung am 27. Februar 1997 bekannt, dass der abgesetzte Rektor Lehrer bleiben darf. Wir veröffentlichten am gleichen Tag eine Medienmitteilung, die regional und national starke Beachtung fand. Ihr Titel lautete: «Die Regierung begründet korrekt, das Obergericht skandalös». Die Aufsichtsbehörde über die Rechtsanwälte hatte diesen reingewaschen, weil er die «Durchsage», «die Juden» hätten «den Zweiten Weltkrieg angezettelt», insofern relativierte, als diese «nur bestimmte oder einzelne Juden» beträfe und die Juden «nur als Teil-Ursachen gemeint sind».

Die SGA schrieb dazu: «Auch das ist ungeheuerlich und im Falle von gegebener Öffentlichkeit wohl auch strafbar. Es ist uns schleierhaft, warum das Obergericht, das sich fast ein Jahr Zeit genommen hat, schreiben kann, es betrachte es ‚als glaubwürdig, dass ihm Rassismus und im besonderen Antisemitismus fremd sind.‘ Eine solche Verharmlosung bedeutet zugleich eine Verharmlosung der Universalen Kirche und des Antisemitismus überhaupt.»

 

Die Schlüsselfrage

In der Folge reichte der Schreibende eine Interpellation ein, die das Akteneinsichtsrecht verlangte. Ihre Schlüsselfrage lautete: «Wie kommt das Obergericht zur Einschätzung, dass dem UK-Direktionsmitglied ‚Antisemitismus fremd‘ sein soll?» Das Obergericht antwortete derart arrogant, dass es zu zwei weiteren Interpellationen kam. Auch prominente bürgerliche Rechtsanwälte und Kantonsräte wie Toni Gügler (CVP) und Christoph Straub (FDP) verlangten, «dass Langs Frage beantwortet wird». Erst eine gemeinsame Erklärung aller fünf Fraktionspräsidien, unter ihnen Manuela Weichelt, vom 5. Juli 1999 führte zu einer Bestätigung des Akteneinsichtsrechts der kantonsrätlichen Justizkommission. Damit ging ein zweijähriger Machtkampf zwischen Legislative und Judikative, in dem es im Kern um die Frage des Antisemitismus ging, zu Ende.

Allerdings hatte die Mehrheit der FDP, die mit der Anwaltskanzlei des UK-Mitglieds verbunden war und der auch der Präsident des Obergerichts angehörte, wiederholt in Frage gestellt, dass das Parlament und die Öffentlichkeit das Recht haben, auf die Schlüsselfrage eine Antwort zu bekommen. Dabei wurde sie von der SVP, die bereits damals in engem Kontakt mit dem VPM stand, unterstützt. Bei der FDP passierte etwas Ähnliches wie im Kanti-Lehrkörper. Sie verteidigte den Rechtsanwalt nicht, weil sie antisemitisch gewesen wäre. Aber es fehlte ihr an jenem antiantisemitischen Bewusstsein, das es brauchte, um sich von einer nahestehenden Person zu distanzieren, die einer antisemitischen Sekte angehörte.

Esoterik und Judenfeindlichkeit

Aus einem vierseitigen Interview von Brigitte Landolt mit Josef Lang im Oktober-Bulletin 3/96:

Welche Einschätzung hast Du allgemein von der Judenfeindlichkeit im Kanton Zug?

Der Antisemitismus ist nicht viel stärker, als ich befürchtet habe. Aber der Anti-Antisemitismus ist viel schwächer, als ich gehofft habe.

In einer Erklärung zum Neuheimer Gemeinderat hast Du einen Zusammenhang hergestellt zwischen esoterischen Sekten und ökokonservativen Fundipositionen einerseits sowie juden- oder fremdenfeindlichen Haltungen andererseits?

Genau wie es früher keinen zwingenden, aber einen auffälligen Zusammenhang gab zwischen Christentum und Antisemitismus, gibt es heute keinen unausweichlichen, aber unübersehbaren zwischen ökokonservativer Esoterik und Judenfeindlichkeit. Ökokonservative Esoterik und Antisemitismus haben gemeinsam die Fundamentalkritik an der Moderne, an der Aufklärung und an deren Hauptinstanz, der menschlichen Vernunft. Beide naturalisieren sie den Menschen derart stark, dass seine «Rassen»-Zugehörigkeit plötzlich wichtiger wird als die individuelle Persönlichkeit.

 

Reihe gegen Antisemitismus

Die SGA führte 1996/97 drei hochkarätige Veranstaltungen gegen den Antisemitismus durch. Die erste vom 17. September 1996 wird im Text vorgestellt. Die zweite vom 30. Januar 1997 war ein innerjüdisches Generationengespräch zwischen dem in Hergiswil aufgewachsenen Sigi Feigel und der Psychoanalytikerin und Autorin Madeleine Dreyfus. An der dritten vom 16. April 1997 über die Schweiz im Zweiten Weltkrieg sprachen der jüdische Gelehrte Ernst Ludwig Ehrlich, der Geschichtsprofessor Jakob Tanner (Bergier-Kommission) und der Grüninger-Kenner Stefan Keller.

Prozess in Trogen

Unter folgendem Link findet man einen 10-vor-10-Bericht (vom 11.07.1996) über den Prozess in Trogen, an dem 200 Sekten-Mitglieder in Mönchskutten teilnahmen.

Dieser Screenshot stammt aus dem im Kasten erwähnten 10-vor-10-Bericht. Er zeigt die Verbindung zwischen dem Prozess in Trogen und dem Kanton Zug.