Antonia Martina Durisch, Redaktion BULLETIN

Im Schatten des Konsumrauschs verbirgt sich eine bittere Realität, die wir oft übersehen. Viele der Geschenke, die wir voller Vorfreude unter den Baum legen, sind das Ergebnis eines unsichtbaren Preises – der Ausbeutung von Kindern in weit entfernten Ländern, die unter unvorstellbaren Bedingungen arbeiten.

 

Weihnachten – eine Zeit des Gebens, der Freude und des Lichts. Überall auf der Welt wird die festliche Stimmung spürbar, die Strassen sind geschmückt, Lichterketten glitzern in den Fenstern, und die Menschen eilen in die Geschäfte, um das perfekte Geschenk zu finden. Doch inmitten dieser festlichen Harmonie schleicht sich eine drängende Frage ein: Was bedeutet es wirklich, zu schenken? Liegt der wahre Sinn von Weihnachten in materiellem Überfluss – in Spielsachen, luxuriöser Kleidung, neuester Elektronik oder gar einem Tesla, den man sich endlich zu Weihnachten gönnt?

Während wir uns in die festliche Stimmung stürzen, bleibt eine unangenehme Wahrheit oft verborgen: Zahlreiche Produkte, die wir im Kaufrausch zu Weihnachten kaufen, werden durch Kinderarbeit ermöglicht. Laut Berichten des US-amerikanischen Arbeitsministeriums und internationaler Organisationen sind in verschiedenen Branchen, von der Schokoladen- bis zur Elektronikindustrie, Millionen Kinder betroffen. Die Liste der betroffenen Industrien ist lang.

 

«Kinder»-Schokolade

In Ländern wie Ghana und der Elfenbeinküste arbeiten mehr als 1,6 Millionen Kinder auf Kakaoplantagen. Sie führen gefährliche Arbeiten mit Macheten aus, um die Bohnen zu ernten, die später in unsere Schokolade fliessen. Diese Kinder werden den Geschmack des Endprodukts nie erleben – sie arbeiten unter Bedingungen, die ihrer Kindheit jede Freude und Sicherheit rauben.

In Ländern wie China, Indien und Bangladesch montieren Kinder in Fabriken Elektronik – von Smartphones bis zu Spielkonsolen. Diese Kinder arbeiten oft ohne Schutz, mit langen Arbeitszeiten und unter gefährlichen Bedingungen, um die Geräte herzustellen, die auf unseren Wunschzetteln stehen.

Besonders schockierend ist auch die Rolle von Kindern in den Minen der Demokratischen Republik Kongo und in Burkina Faso. Sie schürfen nach Gold, das in den wunderschönen und glitzernden Schmuckstücken endet, die wir verschenken, oder nach Kobalt, das für die Akkus von Elektrofahrzeugen wie dem Tesla verwendet wird, den man sich nun gönnt. Diese Kinder arbeiten unter extrem gefährlichen Bedingungen, oft ohne Schutz, und riskieren täglich ihr Leben. Während wir in den westlichen Ländern von nachhaltiger Technologie sprechen, ist der wahre Preis oft das Leid der Kinder, die in diesen Minen arbeiten. Für Kinderhändler, Fabrikbesitzer und ganze Industrien ist das Geschäft mit arbeitenden Kindern äusserst lukrativ. Kinder lassen sich leicht ausbeuten, können sich nicht wehren und sind fast nie gewerkschaftlich organisiert. Sie sind deutlich «billiger» im Vergleich zu Erwachsenen.

Mangelnde Bildung ist eine Folge, aber auch eine der Ursachen von Kinderarbeit. Kinder, die arbeiten müssen, gehen meist gar nicht zur Schule oder dann nur für wenige Stunden. Oft verbieten auch ausbeuterische Arbeitgeber den Schulbesuch. Es ist erwiesen, dass ehemalige Kinderarbeiter häufig ihre eigenen Kinder wieder zur Arbeit schicken, also ganze Generationen in diesem Kreislauf der Armut gefangen bleiben.

 

Der Einfluss des Klimawandels

Doch es sind nicht nur bekannte Faktoren, die das Leid von Kindern verschärfen. Wie Dr. Annette Niederfranke, Direktorin der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Deutschland, kürzlich erklärte, ist der Klimawandel ein zunehmend treibender Faktor für Kinderarbeit. Die Folgen von Wetterextremen, wie Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen, führen dazu, dass viele Familien ihre Lebensgrundlage verlieren. Dies trifft Regionen besonders hart in Subsahara-Afrika und Südasien, wo Kinderarbeit in den letzten Jahren aufgrund klimatischer Katastrophen zugenommen hat.

Diese Katastrophen zerstören nicht nur Ernten und Arbeitsmöglichkeiten, sondern auch lebenswichtige Infrastrukturen, was Familien in verzweifelte Situationen treibt. Wenn Eltern durch den Verlust von Einkommen und Armut keine andere Wahl haben, als ihre Kinder arbeiten zu lassen, wird die Krise verschärft. Wie Niederfranke betont, sind politische Massnahmen erforderlich, die sowohl Sozialschutz für Familien als auch menschenwürdige Arbeit für Erwachsene sicherstellen, um Kinderarbeit nachhaltig zu bekämpfen.
Nach Schätzungen der ILO und von UNICEF aus dem Jahr 2021 sind weltweit etwa 160 Millionen Kinder im Alter zwischen 5 und 17 Jahren von Kinderarbeit betroffen – fast die Hälfte davon arbeitet unter gefährlichen Bedingungen. Sie sind also zum Beispiel giftigen Substanzen ausgesetzt oder müssen schwere Lasten tragen. Die Zahl der ausgebeuteten Kinder ist erstmals seit zwei Jahrzehnten wieder gestiegen. Diese Zahlen spiegeln jedoch noch nicht die aktuellen Auswirkungen von Pandemien, Konflikten oder klimatischen Katastrophen wider. Tatsächlich haben die letzten Jahre gezeigt, dass sich die Lage verschärft hat, da der Klimawandel und seine zerstörerischen Auswirkungen immer mehr Menschen in die Armut treiben. Der Grossteil der Kinder arbeitet in der Landwirtschaft (70 Prozent). Es folgen der Dienstleistungssektor mit 20 Prozent sowie die Industrie einschliesslich des Bergbaus mit 10 Prozent.

 

Eine unsichtbare Krise

Kinderarbeit ist kein Problem, das nur in fernen Ländern existiert – sie ist ein zentraler Bestandteil globaler Lieferketten. Diese Kinder sind oft unsichtbare Opfer in einem System, das von multinationalen Konzernen dominiert wird, die den Profit über die menschliche Würde stellen.

Ein prominentes Beispiel ist der Rohstoffkonzern Glencore mit Sitz in Baar. Obwohl das Unternehmen offiziell angibt, keine Materialien aus kleinmassstäblichem Bergbau zu beziehen, bestehen weiterhin Vorwürfe, dass Kinder in der Demokratischen Republik Kongo unter gefährlichen Bedingungen Kobalt abbauen, das in Elektrofahrzeuge einfliesst​.

Auch Lindt & Sprüngli, ein bekannter Schweizer Schokoladenhersteller, steht wegen Kinderarbeit in seiner Lieferkette in der Kritik. Berichten zufolge arbeiten Kinder auf den Kakaoplantagen in Westafrika, die das Unternehmen beliefern​. Zudem hat Nestlé über 18000 Fälle von Kinderarbeit in seinen Kakaolieferketten identifiziert, was zeigt, wie tief verwurzelt dieses Problem in der globalen Produktion ist​.

Diese Fakten sprechen eine klare Sprache: Die funkelnden Geschenke, die wir unter den Baum legen, tragen leider oft die unsichtbaren Spuren von Kinderhänden, denen das Recht auf eine unbeschwerte Kindheit verwehrt wurde. Die Freude wird von einer unausgesprochenen Wahrheit überschattet – dem bitteren Preis, den andere für unseren Luxus entrichten.

 

Produkte ohne Kinderarbeit auswählen

Sollte Weihnachten nicht mehr sein als nur Konsumrausch? Ein Moment der Besinnung, der Menschlichkeit und des Mitgefühls? Wie können wir diese Werte leben? Wie setzen wir uns für diese Themen ein? Es liegt in unserer Hand, bewusster zu konsumieren und den Wert unserer Entscheidungen neu zu bedenken. Indem wir fair gehandelte Waren bevorzugen und Produkte meiden, die mit Ausbeutung und Kinderarbeit in Verbindung stehen, setzen wir kleine, aber wirkungsvolle Zeichen.

Auch Aktionen und Informationen übernehmen eine zentrale Aufgabe, indem sie dafür sorgen, dass dieses drängende Thema im Bewusstsein der Allgemeinheit lebendig bleibt. Die Politik wiederum trägt Verantwortung, solche Anliegen gezielt zu fördern – etwa durch die kommende Konzernverantwortungsinitiative im Januar 2025, die Unternehmen verstärkt in die Pflicht nimmt. Der aus Guatemala stammende Menschenrechtsaktivist Fernando Morales-de la Cruz appelliert an die G7-Staaten und die Europäische Union, Verantwortung zu übernehmen: „Das Versagen der UN-Ziele zur Beseitigung der Kinderarbeit bis 2025 zeigt, dass nicht genug getan wurde. Es braucht konkrete Massnahmen, um diese Krise zu beenden.“

Gerade in der Weihnachtszeit wird uns bewusst, dass es beim Schenken um weit mehr geht als materielle Gaben. Das wertvollste Geschenk, das wir in dieser besonderen Zeit machen können, ist Verantwortung zu übernehmen – für uns selbst, füreinander und für unsere Welt. So entdecken wir den wahren Sinn von Weihnachten neu, der tief in Mitgefühl, Menschlichkeit und Gerechtigkeit verwurzelt ist.

In diesem Geist wünscht die Redaktion Ihnen ein wunderschönes, besinnliches Weihnachtsfest. Mögen Sie die Feiertage umgeben von Liebe, Wärme und den Menschen verbringen, die Ihnen am Herzen liegen.