Franz Lustenberger

 

Die Grünen sind nicht nur in Deutschland zum Lieblingsgegner der Agrarlobbyisten geworden; auch hierzulande wird aus allen Güllenrohren gegen die ökologischen Parteien gespritzt. Die Grünen sollen schuld an den Schwierigkeiten der Bäuerinnen und Bauern sein. Die bäuerlichen Familienbetriebe sind in der Tat mit vielen Herausforderungen konfrontiert; die Ursachen liegen aber ganz woanders.

 

«Tschüss Schweizer Lebensmittelproduktion» – mit solcher Angstmacherei kämpft die Agrarlobby derzeit gegen die Biodiversitätsinitiative. Absurder geht es nicht, wie ein paar Zahlen belegen: In den letzten 40 Jahren hat sich die Zahl der Bauernbetriebe in der Schweiz mehr als halbiert; mittlerweile sind es deutlich weniger als 50000 Betriebe. Die landwirtschaftliche Nutzfläche ist in den letzten 20 Jahren mit etwas über einer Million Hektaren aber praktisch stabil geblieben. Die Verschwendung von Lebensmitteln hat hierzulande ein Rekordniveau erreicht.

Die Schweizer Bauern haben im Grundsatz kein Flächenproblem, auch wenn in den Agglomerationen durchaus auch wertvolles Kulturland durch Wohn- und Verkehrsnutzungen verloren geht. Sie haben schon gar kein Biodiversitätsproblem, denn die biologische Vielfalt in der Natur stärkt eine nachhaltige und langfristig angelegte Landwirtschaft.

Falschen Leuten geglaubt

Die Bauernbetriebe in unserem Land haben ein Preis- und ein Kostenproblem, die sie zu einem Teil auch mitverursacht haben. Angelika Hilbeck, Agrarökologin an der ETH Zürich, hat es in einem Interview mit der WoZ anfangs Jahr auf den Punkt gebracht: «Sie haben jahrzehntelang den falschen Leuten geglaubt, die Industrialisierung der Landwirtschaft mitgetragen und auf jene herabgeschaut, die schon früh gesagt haben: Das nimmt kein gutes Ende, das ist nicht in eurem Interesse. Ihr werdet nie reich werden. Reich werden immer nur diejenigen, die von euch leben, die Chemie- und die Maschinenindustrie, die Verarbeiter und Verteiler.»

Die Grossverteiler – Coop, Migros, Aldi, Lidl, Volg (im Besitz des Landwirtschaftsmultis fenaco) und weitere – haben eine riesige Marktmacht in der Schweiz. Sie können ihre Preisvorstellungen durchsetzen; sie setzen die Lebensmittelindustrie gehörig unter Druck, den diese dann an die landwirtschaftlichen Betriebe weitergeben. Den Bauern bleibt nichts anderes übrig, als ihre Produkte «in der vergeblichen Hoffnung abzuliefern, dafür einen angemessenen Ankaufspreis zu bekommen». So beschreibt es Blaise Hofmann im lesenswerten Buch «Die Kuh im Dorf lassen».

Die Finanzlage vieler Bauernbetriebe ist in den letzten Jahrzehnten sehr schwierig geworden; diese sind oft stark verschuldet. Schweizweit beträgt das Fremdkapital eines Bauernbetriebes im Durchschnitt rund 1,2 Millionen Franken. Der Bauernverband hält selber fest, international sei die Schweizer Landwirtschaft eine der am stärksten verschuldeten Agrarwirtschaften von Europa, über 35000 Franken pro Hektar Nutzfläche. In unserem Land ist umgerechnet rund die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche im Besitz der Banken – und diese wollen Zinserträge sehen, ungeachtet des Wetters und damit des Ertrages der bäuerlichen Kulturen.

Fünf Regeln der idealen Landwirtschaft

Die finanzielle Sackgasse, in welche die meist männlichen und mächtigen Akteure in Wirtschaft, Verbänden und Politik die Bäuerinnen und Bauern getrieben haben, ist nicht einfach zu verlassen oder gar umzukehren. Die französische Wirtschaftswissenschafterin und Geografin Sylvie Brunel hat fünf Regeln für eine ideale Landwirtschaft beschrieben (zitiert nach Blaise Hofmann): Respekt für den, der uns mit seiner Arbeit ernährt; Anerkennung seiner Leistung; Begegnung zwischen der städtischen und ländlichen Welt; Verantwortung des Verbrauchers für das Wohl der Bauern; faire Entlöhnung der Dienstleistungen.

Diese Regeln stehen klar im Gegensatz zu den Bestrebungen der Agrarindustrie. Der Staat müsste die radikal profitorientierte Agrarwirtschaft aufgeben, die überall zu hohen Gewinnen führt (nur nicht bei den bäuerlichen Produzent*innen an der Basis). Stattdessen müsste die Schweiz eine Ernährungspolitik betreiben, welche die einheimischen Lebensmittel ins Zentrum rückt und sich dafür einsetzt, dass die Menschen gute Produkte und die Bauern gerechte Bezahlung erhalten.

Zu krumm, zu klein, zu hässlich

Was in der Schweizer Landwirtschaftspolitik schief läuft, zeigen beispielhaft die Zahlen zu Food Waste. Zur vermeidbaren Verschwendung zählt alles, was essbar ist, aber nicht den Weg auf unsere Teller findet. Zu krumm, zu klein, zu hässlich: Die Gründe für das Wegwerfen von Lebensmitteln sind unzählig, sinnvoll sind sie oft nicht. In der Schweiz verschwenden wir mehr als ein Drittel der produzierten Lebensmittel. Das sind über 300 Kilogramm Lebensmittel pro Person und Jahr. Und das in einer Welt, in der über 800 Millionen Menschen an Hunger und weitere zwei Milliarden Menschen an Mangelernährung leiden.

Das unförmige Rüebli steht für die Absurdität des hiesigen Systems, wie eine Arbeit am Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL kürzlich aufgezeigt hat. Zwischen Feld und Ladenregal geht rund die Hälfte der Ernte verloren; Hauptursache sind die Standards des Handels, welche – so der Handel – von den Konsumentinnen und Konsumenten so verlangt werden. Fast die Hälfte der produzierten Rüebli in der Schweiz werden wieder untergeackert, landen in Futtertrögen oder in Biogasanlagen.

Im Teufelskreis

Benoit Bréville, französischer Journalist und Direktor von Le Monde Diplomatique, hat in einem Leitartikel unter dem Titel «Die Traktorenrevolte» (Februar 2024) die Situation der Bäuerinnen und Bauern treffend zusammengefasst: «Die Landwirt:innen sind verschuldet, werden von Lebensmittelkonzernen und Supermarktketten unter Druck gesetzt, leiden zunehmend unter Dürren und Überschwemmungen, konkurrieren mit ausländischen Billigprodukten und sind dabei von einem Subventionssystem abhängig, das Grossbetriebe bevorzugt.» Die Folgen sind sinkende Einkünfte und steigende Produktionskosten aufgrund der Verteuerung von Energie, Wasser, Material und Saatgut. Und unsere Bauernpolitiker lenken davon ab, sie machen die Ökologie und die Grünen zu Schuldigen für die Misere. Doch die Verstrickungen von bäuerlichen Politikern und Agrarkonzernen sind die Wurzel des Übels.

Abschliessend nochmals der Blick ins Buch von Blaise Hofmann: «Bauer ist der älteste Beruf der Welt. Es ist auch der wichtigste.» Es ist Zeit, dass sich die Schweizer Landwirtschaftspolitik darauf zurückbesinnt. Und sich die Bauern besinnen, wer wirklich im langfristigen Interesse der Natur und der Menschen handelt und wer nur an den kurzfristigen Profit denkt und sie für eine neoliberale Agenda missbraucht. Denn eines ist klar: Der Boden, die Flora und die Fauna sind nicht irgendein Industriezweig, sie bilden die Lebensgrundlage auf unserem Planeten.

 

Grüne Position

Grüne Landwirtschaft ist natürlich. Tierfreundlich, umweltfreundlich und regional. Das kommt auch den Bäuerinnen und Bauern – und nicht zuletzt unserer Gesundheit – zugute, weil mehr frische, pestizidfreie Lebensmittel auf unseren Tellern landen. Fast die Hälfte unserer Lebensmittel stammt aus dem Ausland. Deshalb ist unsere Devise: Fairer Handel statt schrankenloser Freihandel. Denn eine unversehrte Umwelt, gerechte Arbeitsbedingungen und eine respektvolle Tierhaltung sind uns nicht nur in der Schweiz wichtig, sondern weltweit.

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