Franz Lustenberger, Redaktion BULLETIN

 

«Kleider machen Leute» – so der Titel der Novelle von Gottfried Keller aus der Sammlung über die Leute von Seldwyla von 1874. Heute, 150 Jahre später, wäre ein ganz anderer Titel zum Thema angebracht. Fast Fashion produziert Ungerechtigkeit, Umweltverschmutzung und vor allem Abfall.

 

Starten wir mit ein paar Fakten und Zahlen zur Modeindustrie in der Schweiz und der Welt: Hierzulande werden pro Jahr rund 15 Kilogramm Kleider gekauft. Rund 11 Kilogramm werden demgegenüber jährlich entsorgt. Rund 65000 Tonnen Kleider und Schuhe sind es jährlich in der Schweiz. Von den gesammelten Textilien gehen rund 60 Prozent in den Export, 40 Prozent landen direkt im Kehricht. Oder sie werden nach Asien, Afrika oder Lateinamerika verschifft und türmen sich dort zu riesigen textilen Müllbergen auf. Die Entsorgung im Altkleidersack bedeutet noch lange nicht, dass die Kleider dann auch wirklich recycelt, also in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden.

Beispiel Ghana

So gut das Wort Textil-Recycling auch tönt, so zahlreich die Textilsammelstellen in der Schweiz auch sind – all dies verschleiert die echte Problematik des Modewahnsinns. Der Sozialunternehmer Yayra Abgofah, der sich für eine weltweite sozialökologische Transformation der Textilindustrie stark macht, beschreibt den Modewahnsinn und die Folgen für sein Land Ghana wie folgt: Jede Woche kommen Schiffscontainer mit 15 Millionen Kleidungsstücken in Ghanas Hauptstadt Accra an. Das westafrikanische Land zählt – dies als Vergleichsgrösse – rund 35 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Also könnte sich jeder Ghanaer und jede Ghanaerin alle zwei bis drei Wochen mit einem Kleidungsstück bedienen. Aber was sollen Menschen in Afrika mit unseren Winterkleidern?

Die Frage mag provozieren, aber sie zeigt eines auf: Rund 30 Prozent der Kleider, die in Ghana ankommen, sind nicht brauchbar, respektive sind schlicht Müll und werden weggeworfen. Sie verstopfen Wasserwege, verschmutzen Strände und generieren riesige Deponien. Yayra Abgofah dazu: «Und weil die Deponien illegal in Brand gesetzt werden, verschmutzt der Textilmüll auch noch unsere Luft.» Der Textilimport sowie die Sortierung verhilft Menschen zu einer sehr schlecht bezahlten Arbeit und zum Erwerb von Kleidern mit Markennamen. Aber, und das ist ebenfalls negativ für die wirtschaftliche Entwicklung: Die lokale Textilindustrie mit ihren natürlichen Stoffen und den farbenfrohen Kleidern hat praktisch keine Chance gegen den Gratisramsch aus dem Norden.

Lokale Verwertung als Ziel

Statt den Kleiderramsch nach dem Motto «Aus den Augen, aus dem Sinn» nach Afrika zu exportieren, plädiert der Unternehmer aus Ghana dafür, dass Kleider in den Ländern recycliert und wieder verwendet werden, wo sie auch erstmals getragen wurden. «Die Zukunft liegt weltweit in der Kreislaufwirtschaft», sagt Abgofah im Interview mit Public Eye. Für die Grünen eine Selbstverständlichkeit, nur ist die reale Wirtschaft, und die Textilindustrie ganz besonders, meilenweit davon entfernt.

Trugen unsere Vorfahren noch Kleidungsstücke von natürlichen Fasern aus Pflanzen (Baumwolle, Leinen, Hanf) oder von Tieren (Wolle, Seide), so hat sich die moderne Textindustrie massiv verändert. Statt auf natürlicher Basis werden immer mehr Kleider hergestellt, die mit Elastan oder Polyester vermischt sind. Der Blick in den eigenen Kleiderschrank und besonders auf die Etiketten fördert Erstaunliches zu Tage.

Sascha Sardella, Betriebsleiter der Sammelstelle Tell-Tex, wird in der Zeitung «Blick» vom 19. März 2025 wie folgt zitiert: «Die Qualität des Sammelguts hat sich in den letzten 18 Monaten deutlich verschlechtert.» Potenzielle Abnehmer im Ausland würden wegen der minderwertigen Qualität immer weniger für Altkleider bezahlen. Der Grund ist ein einfacher: Kleider aus Naturfasern, die etwa mit Polyester vermischt sind, lassen sich kaum recyclieren. Nochmals Sascha Sardella: «Leider sind die meisten Fast-Fashion- oder Ultra-Fast-Fashion-Textilien unbrauchbar.» Zudem sei bei den Billigstprodukten, die übers Internet angepriesen werden, oft unklar, welche weiteren Chemikalien den Stoffen beigemischt wurden. Das heisst, diese landen schon hier in der Schweiz via die Sammelstellen in der Kehrichtverbrennungsanlage mit ihren Reinigungsfiltern. Immerhin die weniger schlechte Lösung im Vergleich zu den textilen Mülldeponien in Afrika, die oft wild abgefackelt werden.

Fast Fashion ohne Sinn

Zur Entwicklung des Kleiderkaufs in den letzten Jahrzehnten: Der passende Anzug für den Mann, das bunte Kleid für die Frau – das waren noch Investitionen, nicht immer fürs ganze Leben, aber meist für ein paar Jahre. Langlebigkeit des Stoffes war ein zentrales Kriterium beim Kleiderkauf. Heute lauten die Slogans «Fast Fashion» oder gar «Ultra Fast Fashion», also Kleider für einen Sommer, einen Monat oder gar nur für eine einzige Party – und dies möglichst billig. Die Materialien, aus denen die Kleider bestehen, sind schlechter und nicht langlebig, auch die Verarbeitung ist oft mangelhaft.

Apropos Preise – ich habe mich auf der Homepage von Shein umgesehen (31. Mai 2025): Eine «Jouncy Damen Lässig Einfarbige Transparente Spitzen Bluse» – so die Werbung – kostet CHF 5.99, Angaben zum Material: Fehlanzeige. Oder ein weiteres Beispiel: Ein «EZwear Vintage Stil Urlaubs Tropen Blumen Muster Sexy Träger Top für Frauen, geeignet für den Sommer» ist für CH 4.99 zu haben. Auch für Männer geht es billig weiter. Eine «Manfinity Homme Herren Freizeitweste mit Kontrastfarben Rundhals für den Sommer» kostet CHF 4.50. Machen wir einen Vergleich – ein Kaffee Crème kostet im Kanton Zug im Durchschnitt CHF 4.84.

Solche Kleiderpreise sind nur möglich, weil Menschen und Natur ausgebeutet werden. Die Herstellung von Kleidern und Textilien, von Lederwaren und Schuhen ist laut Romeo Regenass, Redaktor des Public Eye Magazins, «eine der umweltschädlichsten und ungerechtesten Industrien der Welt». Sie beruhen auf der Ausbeutung billiger Arbeitskräfte und der Plünderung der Ressourcen unseres Planeten. Synthetische Materialien werden aus Erdöl gewonnen, der Transport mit Schiffen und immer mehr mit Flugzeugen belastet die Umwelt ganz besonders. Zudem gelangen durch das Waschen synthetischer Stoffe Mikroplastikpartikel in die Gewässer, in die Seen und letztlich in die Ozeane, die von Meerestieren aufgenommen werden und so in die Nahrungskette gelangen. Fazit von Public Eye: «Die Modeindustrie missbraucht die Umwelt immer stärker als Deponie für Textilabfälle, Treibhausgase, Mikroplastik, Chemikalien und andere Emissionen.»

Irrsinn des Transports

Jedes siebte in der Schweiz verkaufte Kleidungsstück kommt per Flugzeug in unser Land. «Flugmode» ist daher der richtige Ausdruck. Im letzten Jahr wurden mehr als 22000 Tonnen Textilien, Bekleidung und Lederwaren per Luftfracht in die Schweiz eingeführt, mehr als drei Viertel davon direkt aus China.

Verderbliche Waren wie Früchte per Luftfracht von den Produzenten zu den Konsumenten zu bringen, mag ja noch halbwegs begründet werden können. Für Kleider stimmt das nun wirklich gar nicht – ausser man betrachtet Modeartikel als verderbliche Ware. Und genau nach diesem Prinzip funktioniert «Fast Fashion» und «Ultra Fast Fashion».

«Fast-Fashion-Flüge» sind mitschuldig an der rasant steigenden Klimaerwärmung auf dem Planeten Erde. Zara, Shein, Temu und viele andere heizen mit ihrer Flugmode die Klimakrise an. So ist der Flughafen Saragossa zu einem der grössten Frachtflughäfen des Landes geworden; Treiber des Flugverkehrs ist der Modegigant Inditex mit seinen Verteilzentren in der Umgebung. Die billigen Kleidungsstücke sehen den Innenraum eines Cargofliegers zweimal – zum ersten Mal beim Transport aus einem Produktionsstandort mit Tiefstlöhnen ins Verteilzentrum der Fashion-Giganten, zum zweiten Mal beim Versand aus diesen Logistikzentren hin zu den weltweiten Verkaufsläden. Fazit von Public Eye: «Flugmode muss gestoppt werden.»

 

Tipps für den Kleiderkauf

«Wieviel Kleidung braucht ein Mensch?» Die Frage kann nicht generell beantwortet werden. Aber eines steht fest – und das zeigt ein unvoreingenommener Blick in den eigenen Kleiderschrank: Die allermeisten Menschen haben Kleider im Überfluss; sie besitzen Kleidungsstücke, die sie selten oder gar nicht mehr tragen.

Regel 1: Schaffen Sie sich einen ehrlichen Überblick über die vorhandenen Kleidungsstücke.

Der nächste Schritt ist die Konzentration auf Basis-Kleidungsstücke, die regelmässig getragen werden und zu verschiedenen Anlässen passend sind. Ergänzt wird die Grundausstattung durch gezielte Kleidungsstücke für spezialisierte Aktivitäten wie etwa Sport.

Regel 2: Prüfen Sie bei jedem Kauf, ob das neue Kleidungsstück zur Basisausstattung gehört und regelmässig getragen wird. Vermeiden Sie schnelle Impulskäufe.

Für unsere Eltern oder Grosseltern kam der Kleiderkauf einer Investition gleich; Dauerhaftigkeit war ein entscheidendes Kriterium. Hochwertige Kleidungsstücke aus strapazierfähigen Materialien halten länger und sehen oft besser aus als ihre billigeren Gegenstücke.

Regel 3: Schauen Sie auf die Qualität der Stoffe und der Verarbeitung. Wählen Sie eine einheitliche Farbpalette, die zu Ihnen passt; das steigert die Kombinationsmöglichkeiten im Alltag.

«Fast Fashion» und «Ultra Fast Fashion» sind für ihre bedenklichen Produktionsbedingungen bekannt. Die Kleidungsstücke werden oft unter schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigen Löhnen in Entwicklungs- und Schwellenländern hergestellt. Gleichzeitig wird durch die rasche Produktion und den geringen Preis der Kleidung die Umweltbelastung in Produktion und Transport enorm erhöht.

Regel 4: Meiden Sie Fast Fashion und informieren Sie sich über die Arbeitsbedingungen und die Umweltbelastung der verschiedenen Marken und Hersteller.

Eine ebenso effektive und oft kostengünstigere Alternative ist der Kauf von Secondhand-Kleidung. Gebrauchte Kleidung bietet die Möglichkeit, individuelle und oftmals hochwertige Stücke zu finden, für die keine neuen Ressourcen verbraucht werden mussten.

Regel 5: Nutzen Sie bestehende Alternativen zum Neukauf für sich allein.

Jede Kaufentscheidung, die wir treffen, hat einen Einfluss auf unsere Umwelt, auf die Arbeitsbedingungen der Menschen, die unsere Kleidung herstellen, und auf die Zukunft, die wir für die nächsten Generationen gestalten.

https://nachhaltigkeit-wirtschaft.de/wieviel-kleidung-braucht-ein-mensch/

https://www.wwf.ch/de/stories/7-tipps-fuer-einen-nachhaltigen-kleiderkonsum

 

Petition gegen Fast Fashion

Public Eye fordert in einer Petition den Bundesrat auf, Anreize für «gute, faire und langlebige Mode zu setzen». Gefordert wird die Schaffung eines Schweizer Modefonds, der günstige Reparaturen, mehr Secondhand-Angebote, hochwertiges Recycling sowie eine nachhaltige Produktion fördert.

Mit der Unterzeichnung der Petition können wir ein Zeichen gegen die Wegwerfmode setzen. Die textilen Müllberge sind die grösste Modesünde der Schweiz.

https://www.publiceye.ch/de/was-sie-tun-koennen/aktion/mitmachen/stop-fast-fashion

Quellen

«Die Modeindustrie braucht ein radikales Redesign». Public Eye Magazin Nr. 53, April 2025

«Mode per Flieger heizt dem Klima ein». Public Eye Magazin Nr. 44, November 2023