Die Krisen und Kriege in Nahost und in der Ukraine haben die Gefahren der Klimaerwärmung in den medialen Hintergrund gedrängt. Dazu kommt der Sparwahn im Bundeshaus. Klimaschutz sei teuer, heisst es allenthalben von bürgerlicher Seite. Aber – viel teurer ist es und wird es in Zukunft sein, aus Finanzgründen keinen wirksamen Klimaschutz zu machen.

Franz Lustenberger, Redaktion BULLETIN

Die Menschen haben den Bund mit Gott vergessen, so spricht Gott im Oratorium «Die Sintflut» von Martin Völlinger (Musik) und Hanspeter Gschwend (Text), das Ende September in Steinhausen und Baar uraufgeführt wurde. Und weiter: «Sie wüten blindlings gegen die Schöpfung. Doch die Schöpfung wird sich rächen.» Und der Chor singt eindrücklich dazu: «Leise, stetig, leise, stetig steigt das Wasser, leise, stetig steigt es weiter …. Das Wasser vernichtet die verschenkte Zeit. Es frisst sich verborgen in Fundamente, dringt stetig in Ritzen, sprengt Felsen, sprengt Mauern, reisst Bäume, reisst Erde, reisst Felsen mit sich.»

Valencia und Brienz

An diesen Text muss ich denken, wenn ich Ende Oktober, nur einen Monat nach der Aufführung, die Bilder der Zerstörung aus dem Süden Spanien sehe. Über 200 Menschen haben ihr Leben verloren; Tausende sind obdachlos, weil ihre Wohnungen auf unbestimmte Zeit nicht mehr bewohnbar sind; die Zerstörungen an der Infrastruktur oder in der landwirtschaftlichen Produktion sind noch kaum endgültig abschätzbar. Die Agrarorganisation von Valencia rechnet allein für den Agrarsektor mit Verlusten von über 800 Millionen Euro für die laufende Ernte. Dazu kommen in der Landwirtschaft zusätzlich langfristige Auswirkungen wie etwa Wurzelsterben und damit die Anpflanzung neuer Kulturen oder die Humusierung des weggeschwemmten Bodens.

Ein zweites Beispiel aus diesem Sommer: die Region Brienz im Berner Oberland. Die Regen- und Gewitterzelle hat die Brienz-Rothorn-Bahn hart getroffen. Eine Strecke von 2,2 Kilometern weist starke strukturelle Schäden am Trasse, dem Steinbettfundament und an der Entwässerung auf. Ausserdem ist der Schotter auf einer Länge von 1,4 Kilometern verunreinigt. Die aufwendigen Instandstellungsarbeiten werden mehrere Monate dauern, man rechnet derzeit mit Kosten von rund 5 Millionen Franken. Die Umsätze der Bahn und der Restauration fallen ebenfalls weg.

Das mag auf den ersten Blick wenig erscheinen, und doch zeigt der Blick in den Geschäftsbericht der Bahn, wie bedeutend die Kosten für die Unternehmung tatsächlich sind. Im Jahr 2022 erwirtschaftete die BRB (Brienz Rothorn Bahn) einen Gesamtumsatz von rund 10 Millionen Franken. 44 Mitarbeitende teilen sich gut 25 Vollzeitstellen. Mit dem Unwetter verlor die Bahn nicht nur viel Geld, viele Beschäftigte verloren ebenso ihre Tätigkeit für einen nachhaltigen Tourismus.

Solche Starkregen und Überschwemmungen sind auch die Folge der rasanten Klimaerwärmung in den letzten Jahrzehnten. Das Ausmass des Unwetters hängt mit der Klimaerwärmung zusammen, davon sind Wissenschafterinnen und Wissenschafter überzeugt. Friederike Otto, Abteilungsleiterin am Zentrum für Umweltpolitik des Imperial College in London, dem britischen Science Media Center, sagt: «Mit jedem Bruchteil eines Grades der Erwärmung durch fossile Brennstoffe kann die Atmosphäre mehr Feuchtigkeit aufnehmen, was zu stärkeren Regenfällen führt.» Und Jess Neumann sieht – so der «Spiegel» – in dem Unwetter eine «weitere schreckliche Erinnerung an das veränderte und chaotische Wetter, das wir als Folge des Klimawandels erleben». Kalte Luft, die im Herbst und Winter nach Süden strömt, ist keine Seltenheit, aber wenn sich diese über das erwärmte Mittelmeer bewegt, so sind atmosphärische Instabilität und heftige Regenfälle die Konsequenz aus den physikalischen Gesetzen.

Geophysikalisches Experiment

Der amerikanische Ozeanograph und Klimatologe Roger Revelle beschrieb schon in den 50er- und 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts die Zunahme von CO2 in der Erdatmosphäre und die damit verbundenen Gefahren für die Zukunft der Menschheit; so in einem Artikel in der «New York Times» im Jahre 1957: «Die Menschen führen momentan ein grossangelegtes geophysikalisches Experiment aus, das so weder in der Vergangenheit hätte passieren können noch in der Zukunft wiederholt werden kann.» Mittlerweile ist diese Zukunft schon lange Realität; die Erderwärmung hat sich – ungeachtet aller Klimakonferenzen und Appelle von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern – rasant beschleunigt.

Kürzlich habe ich in einer Zeitung sinngemäss Folgendes gelesen, dem ich beipflichten kann: Ich glaube tausendmal mehr einem Wissenschafter, der sich möglicherweise auch einmal irren kann, als einem blonden Irren im Weissen Haus, der sich als Heilsbringer über alle Wissenschaft erhaben positioniert, alles besser weiss und von seinen Fans in den USA als neuer Messias gefeiert wird. Ich kann ja verstehen, dass für einen Farmer im Mittleren Westen der USA aktuell der Preis für den Diesel wichtig ist, aber die Folgen der billigen fossilen Brennstoffe werden irgendwann auch ihn treffen.

Zeitverlust erhöht die Kosten

Zurück zu den volkswirtschaftlichen Kosten des Klimawandels. Diese werden entscheidend davon abhängen, «wann mit einer aktiven Klimaschutzpolitik begonnen wird», hält Karl Heinz Hauser, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule des Bundes in Mannheim in einem Artikel aus dem Jahre 2022 fest. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schätzt die ohne Klimaschutzpolitik weltweit eintretenden Klimaschäden bis zum Jahr 2100 auf 20 Billionen US-Dollar (1 Billion gleich 1’000’000’000’000).

Der frühere Chefökonom der Weltbank, Sir Nicholas Stern, hat die bislang umfassendste Berechnung der ökonomischen Folgen des Klimawandels verfasst. Stern kommt in dem Bericht zum Schluss, dass jährlich ein Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts notwendig wäre, um katastrophale Folgen der Erderwärmung abzuwenden. Die Kosten des Nichthandelns lägen um den Faktor 5 bis 20 höher. Nichtstun oder zu wenig tun werden uns also langfristig sehr viel teurer zu stehen kommen. Doch angeheizt von Klimaleugnern und rechten Populisten verschliessen viele Menschen die Augen vor der unausweichlichen Perspektive. Stellvertretend dafür steht ein User, der in einem Kommentar eine einfache Lösung für die Klimakrise gefunden hat: «Seit es die Grünen gibt, haben wir den Klimawandel – Partei verbieten, Problem gelöst.»

Die Schäden des Klimawandels werden uns alle ärmer machen, in unterschiedlichem Ausmass. Obwohl die Entwicklungs- und Schwellenländer im Gegensatz zu den Industriestaaten nur sehr wenig für die Klimaerwärmung verantwortlich sind, wird der globale Süden die Hauptlast der Kosten des Klimawandels tragen. Mit unabsehbaren Folgen für die weltweite Migration. Millionen von Klimaflüchtlingen werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten gezwungen sein, ihre Heimat zu verlassen.

Die Geschichte der Sintflut

Noah stellte – zwar erst auf Drängen und Bitten seiner Frau – die von Gott geforderte Arche her und sicherte so das Überleben der Schöpfung. 40 Tage und Nächte soll es gemäss der Bibel ununterbrochen geregnet haben. Die Zahl 40 hat eine theologische Bedeutung, sie steht für den Zeitraum, der zu Busse und Besinnung auffordert, der so eine Wende und einen Neubeginn ermöglicht. Und wir ach so Gescheiten in der Moderne? Wir verursachen mit unserer Masslosigkeit und Überheblichkeit Dürren und Sintfluten. Sie werden «Jahrhundert-Katastrophen» genannt, die aber nicht mehr alle hundert Jahre einmal, sondern in viel kürzeren Abständen auftreten werden.