Andreas Lustenberger, Kantonsrat ALG, Baar

 

Halbzeit bei der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, und das Zwischenfazit lässt zu wünschen übrig. Geht es im gleichen Tempo weiter, erreichen wir nicht einmal einen Fünftel der 17 Ziele. In mehreren Bereichen gibt es Rückschritte. Gleichzeitig verlieren fundamentale Werte in der internationalen Diplomatie an Bedeutung. Kantonsrat Andreas Lustenberger war diesen Juli an der UNO-Konferenz zur Agenda 2030 in New York.

 

Als UNO-Generalsekretär António Guterres anfangs Juli 2024 vor die Medien trat, um den aktuellen Umsetzungsstand der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung zu präsentieren, tat er dies wohl mit einem starken Ziehen im Bauch. Zur Halbzeit der 2015 verabschiedeten Agenda 2030 erleben wir in mehreren der 17 Ziele Rückschritte. Während es in den ersten Jahren noch vorwärts ging, steht es inzwischen schlecht um die nachhaltige Entwicklung. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Dazu gehören unter anderem die Pandemie, das fragile globale Wirtschaftssystem, die weltweite Teuerung, die fortlaufende Klimakatastrophe sowie nationale und regionale Kriege.

Einsatz für eine gerechte Welt

Seit zehn Jahren arbeite ich nun bei Caritas Schweiz, einem privatrechtlich organisierten Hilfswerk mit kirchlichen Wurzeln, welches sich sowohl in der Schweiz wie auch weltweit die Armutsbekämpfung auf die Fahnen geschrieben hat. Dass es der Welt nicht gut geht, wissen wir bei den Hilfswerken und in unseren politischen Kreisen schon länger. Trotzdem ist es wohl unmöglich, sich von der Schweiz aus in die Lebensrealitäten von Millionen Armutsbetroffenen im globalen Süden versetzen zu können. Als ich im Oktober 2023 für eine Woche unsere Projekte in Syrien besuchen konnte, wurde mir erneut klar, wie wichtig unser Einsatz für eine gerechte Welt ist. Aber was hilft uns die internationale Diplomatie bei all diesem Elend? Was nützen uns UNO-Konferenzen, wenn wir jeden Franken besser in die Armutsbekämpfung, die Klimakrise oder die Unterstützung von Friedensbemühungen investieren sollten? Diese Fragen quälen mich persönlich immer mal wieder und sie waren auch in meinem Rucksack, als ich anfangs Juli für rund zehn Tage nach New York reiste.

High Level Political Forum 

Für eine gewöhnliche Jahresversammlung würden die Minister:innen aus der ganzen Welt wahrscheinlich nicht nach New York reisen. Deshalb nennt sich die jährliche Zusammenkunft «High Level Political Forum». Es treffen sich – so lautet zumindest das Ziel – staatliche Akteure, die Zivilgesellschaft, die Wirtschaft und die Wissenschaft, um den Umsetzungsstand einzelner Ziele spezifisch zu prüfen, die Länderberichte von rund 50 Staaten anzuhören, sich auszutauschen, zu vernetzen und mit neuer Motivation die Agenda 2030 im eigenen Land voranzutreiben. Im Fokus standen 2024 die Ziele (Sustainable Development Goals, SDG) No Poverty (1), Zero Hunger (2), Climate Action (13) und Peace and Justice (16). Insbesondere wegen der ersten beiden Ziele fand es die Bundesverwaltung sinnvoll, mich als Vertreter der Zivilgesellschaft nach New York mitzunehmen. Werfen wir einen kurzen Blick auf den Stand der SDG 1 und SDG 2.

Ernüchterndes Fazit bei Armut und Hunger

  • No Poverty, SDG 1: Bis 2030 wollen wir eine Welt, in der kein Mensch in extremer Armut leben muss, also mit weniger als 2,15 Dollar pro Tag. Als die Agenda 2030 im Jahr 2015 in Angriff genommen wurde, lag die Armutsquote bei rund zehn Prozent. Während sie in den Jahren zuvor insbesondere wegen der Entwicklungen in Asien und Südamerika stark gesunken war, verharrt sie auch heute noch auf diesem Niveau. Im Jahr 2023 lebten rund 700 Millionen Menschen in extremer Armut. Nachdem die weltweite Armut nach der Pandemie kurzzeitig sogar wieder angestiegen war, stagniert sie nun. Da es sich um einen globalen Durchschnitt handelt, ist ein Blick in die Regionen notwendig. Insbesondere in Subsahara Afrika und im Nahen Osten stieg die extreme Armut auch im letzten Jahr an. Die Schweiz hat sich im Rahmen der Agenda 2030 zum Ziel gesetzt, die Armut (gemäss SKOS-Richtlinien) bei uns im Land zu halbieren. Die Realität ist leider umgekehrt, die Armutsquote steigt seit 2014 stetig an.
  • Zero Hunger, SDG 2: Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends konnte die Anzahl hungernder Menschen von zirka 14 auf neun Prozent reduziert werden. Ab 2015 stagnierte die Hungerquote und seit 2020 steigt die Zahl wieder an. Im aktuellen Hungerbericht liegt die Zahl bei erschreckenden 750 Millionen Menschen. Hinzu kommen über zwei Milliarden Menschen (28,9 Prozent), also fast ein Drittel der Weltbevölkerung, die unterernährt sind.

 

Schwächung des internationalen Weges wäre falsch

Bei so geringem Fortschritt in der nachhaltigen Entwicklung: Wie viele internationale Konferenzen brauchen wir noch? Die zehn Tage in New York waren für mich diesbezüglich erhellend. Die UNO bietet einen oder den einzigen Rahmen, in dem sich alle Staaten noch auf gemeinsame Ideen und Ziele einigen können, auch wenn das aufgrund der heutigen geopolitischen Lage wahrscheinlich so schwierig ist wie zu Zeiten des kalten Krieges. Es braucht eine starke Schweizer Diplomatie, welche sich für Frieden, für Menschenrechte, für Chancengerechtigkeit und Gleichstellung einsetzt. Dies hat viel mit dem jeweiligen Bundesrat und den Eidgenössischen Räten zu tun. Geht es nach dem Bundesrat, so soll in den nächsten vier Jahren weniger Geld für die Entwicklungshilfe und für multinationale Organisationen zur Verfügung stehen. Im Ständerat fand kurzzeitig sogar ein Vorstoss eine Mehrheit, welcher die Entwicklungshilfe um zwei Milliarden zu Gunsten der Armee radikal kürzen wollte.

In Anbetracht der Kriege und Katastrophen, welche in den letzten Jahren zu viel Leid geführt haben, scheint es wenig realistisch, die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung bis 2030 vollständig zu erreichen. Aber die Kombination von sozialen, ökologischen und ökonomischen Zielen bleibt auch nach 2030 ein bestechender Referenzrahmen, an welchem sich die Politiker:innen auf allen staatlichen Ebenen orientieren und messen. Leave no one behind – das Motto der Agenda – weist auf eine friedliche und chancengerechte Welt hin, die niemanden zurücklässt. So reiste ich mit einem grundsätzlich positiven Gefühl zurück in die Schweiz; motiviert, mich gemeinsam mit engagierten Mitstreiterinnen und Mitstreitern für eine nachhaltige Welt einzusetzen.

 

UNO-Nachhaltigkeitskonferenz in New York
Andreas Lustenberger nahm vom 8.-17. Juli am High Level Political Forum zum Stand der Agenda 2030 in New York teil. Er ist in seiner Tätigkeit als Geschäftsleitungsmitglied von Caritas Schweiz Mitglied der nationalen Begleitgruppe zur Umsetzung der Agenda 2030. Als Vertreter der Zivilgesellschaft komplementierte er die sechsköpfige Schweizer Delegation, welche ausser ihm aus leitenden Bundesangestellten bestand.

UNO-Nachhaltigkeitskonferenz in New York
Andreas Lustenberger nahm vom 8.-17. Juli am High Level Political Forum zum Stand der Agenda 2030 in New York teil. Er ist in seiner Tätigkeit als Geschäftsleitungsmitglied von Caritas Schweiz Mitglied der nationalen Begleitgruppe zur Umsetzung der Agenda 2030. Als Vertreter der Zivilgesellschaft komplementierte er die sechsköpfige Schweizer Delegation, welche ausser ihm aus leitenden Bundesangestellten bestand.

Was ist die Agenda 2030?
 
Die Agenda 2030 wurde 2015 von allen UNO-Mitgliedstaaten beschlossen und auch von der Schweiz ratifiziert. Sie beinhaltet 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung mit 169 Unterzielen.

Sie tragen der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimension der nachhaltigen Entwicklung in ausgewogener Weise Rechnung und führen zum ersten Mal Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung in einer Agenda zusammen. 2021 hat die Schweiz in der Strategie Nachhaltige Entwicklung (2030) einen auf die Schweiz adaptierten Umsetzungsplan für die Agenda 2030 festgelegt. Die konkreten Massnahmen werden vom Bundesrat in dreijährigen Aktionsplänen festgelegt.